Austrofaschismus / Revolutionäre Sozialisten
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Austrofaschismus/Revolutionäre Sozialisten 

Während der Februarkämpfe im Jahr 1934 hielt sich Rosa Jochmann in der Einsatzzentrale der Partei im Ahornhof/George Washington-Hof auf. Dort stenographierte sie Radiomeldungen über den Verlauf der Kämpfe und brachte die Texte anschließend in ein Nebenzimmer zu Otto Bauer und Julius Deutsch. Nach der Niederschlagung der Februarkämpfe wurde Rosa Jochmann, wie alle ehemaligen Mitglieder des Parteivorstandes, des Hochverrats angeklagt und polizeilich gesucht. Der Großteil der Parteispitze wurde unmittelbar bei bzw. nach den bewaffneten Auseinandersetzungen festgenommen.

Ausgestattet mit einer gefälschten Identität, gelang es Rosa Jochmann mehrere Monate lang, einer Verhaftung zu entgehen. Sie war an zentraler Stelle am Aufbau der illegalen Nachfolgeorganisation der Sozialdemokratischen Partei, der Revolutionären Sozialisten, beteiligt und leistete Widerstand gegen das Regime des Austrofaschismus. Sie sprach bei illegalen Kundgebungen, nahm an Konferenzen und Aktionen teil oder transportierte Informationsmaterialien der Revolutionären Sozialisten. Im August 1934 wurde sie schließlich festgenommen. 
 
Drei Pfeile und Streuzettel der Revolutionären Sozialisten (aus der Publikation: Maier, Michaela (2014): Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus. Dokumentationen 1-4/2013, Wien, darin: Duma, Veronika/Lichtenberger, Hanna (2014): „Geschlechterverhältnisse im Widerstand: Revolutionäre Sozialistinnen im Februar 1934“, S. 55-82.)
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Symbol des Widerstandes: die drei Pfeile 

Die drei Pfeile waren das Zeichen des Widerstandes der Revolutionären Sozialisten, der Nachfolgeorganisation der SDAP in der Illegalität unter dem Austrofaschismus. Sie symbolisierten den Kampf gegen Kapitalismus, Faschismus und Reaktion und wurden auch zum Symbol des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Nach der Befreiung im Jahr 1945 wurden die drei Pfeile von einem roten Ring umfasst, der die Einheit der Sozialdemokratie darstellen sollte.

Im Glauben an ein baldiges Zusammenbrechen des Regimes betrieben die widerständigen Gruppen in der ersten Phase der Illegalität eine noch relativ offensive Propaganda, verteilten Flugblätter, klebten Plakate oder hielten offene Versammlungen ab. Rosa Jochmann berichtete: „Schon am 1. Mai 1934 machten wir in Mödling eine Maifeier, natürlich eine kurze, hissten eine Rote Fahne (…)“.
(VGA, NRJ, K7M49, Rosa Jochmann, „Wir wurden illegal“, Artikel für Eva Pfisterer, 08.02.1984)

Bei der Gedenkveranstaltung am 15. Juli 1934 auf der Predigtstuhlwiese im Wienerwald sollte Rosa Jochmann eine Ansprache halten. Als sie gerade vor mehreren hundert TeilnehmerInnen zur Rede ansetzte, stürmte die Liesinger Ortswehr mit der Gendarmerie die Veranstaltung und erschoss zwei Menschen: „Weitere Gendarmen kamen, unsere Leute versuchten, sich zu wehren, es fielen Schüsse, viele flüchteten, man hörte Schreien und Jammern.“
(Vgl. Maria Sporrer/Herbert Steiner: Rosa Jochmann. Zeitzeugin. Wien 1983, S. 63.) 

 
N2/19
„Illegaler Ausweis Rosa Jochmanns mit dem Decknamen Josefine Drechsler“
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Ausweis Rosa Jochmanns mit dem Decknamen Josefine Drechsler

Nach den Februarkämpfen und dem Verbot der SDAP durch das austrofaschistische Regime führte Rosa Jochmann die politische Arbeit in der Illegalität weiter. Sie entzog sich dem Zugriff der Behörden und bewegte sich in der Öffentlichkeit mit Hilfe eines gefälschten Ausweises unter dem Namen ihrer Schwester Josefine Drechsler. Beim Aufbau der Organisation der Revolutionären Sozialisten spielte sie eine wichtige Rolle. Bereits im Februar 1934 fanden erste Zusammenkünfte statt. Manfred Ackermann, Roman Felleis, Karl Holoubek, Rosa Jochmann und Ludwig Kostroun wurden zur ersten „zentralen Fünfergruppe“ bestimmt, die sich bald in „Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten“ umbenannte.

Am 30. August 1934 wurde Rosa Jochmann von einem „Konfidenten“ der Polizei beobachtet, wie sie mit zwei Aktentaschen am Bahnhof von Wiener Neustadt eintraf und sich in Richtung eines Zeitungsstandes bewegte. Sie sollte Material der Revolutionären Sozialisten zur weiteren Verteilung an den Kiosk liefern. Als Rosa Jochmann dort ankam, erschien die Polizei, nahm sie fest, beschlagnahmte das Material und dursuchte den Kiosk.

Nach drei Monaten Haft in Wiener Neustadt veranlasste die Staatsanwaltschaft Rosa Jochmanns Überstellung nach Wien. Nach weiteren Monaten Untersuchungshaft im Wiener Landesgericht sowie im Gefängnis in der Rossauer Lände, von den Gefangenen „Liesl“ genannt, wurde sie zu einem Jahr Kerker mit vierteljährlichem Fasttag verurteilt. Bis zum 22. November 1935 verbrachte Rosa Jochmann insgesamt 15 Monate in Haft.

Beamte protokollierten die Verhöre, die zu Beginn der Haft mehrmals täglich und über Tage hinweg mit Rosa Jochmann geführt wurden. Sie versuchten, den Verlauf des Februaraufstandes, die Zusammensetzung der Partei(-Linken) sowie deren Verhältnis zum Schutzbund zu rekonstruieren. Erst im April 1935 wurde das Urteil gegen Rosa Jochmann verkündet: Für den Transport illegaler Materialien verurteilte sie das Gericht wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz. Schwerer wog ein weiterer Anklagepunkt. Bei der Durchsuchung des Wiener Neustädter Kiosks wurden Entwürfe für die Ausbildung der sog. Zehnerscharen, einer militärischen Struktur für die Arbeit in der Illegalität, gefunden. Die Staatsanwaltschaft warf Rosa Jochmann vor, als Nummer 6, als Botin in der illegalen Organisation, fungiert zu haben. Als Beweis galten außerdem Notizen über finanzielle Transfers sowie ein Abonnement der Österreichischen Bundesbahnen für Niederösterreich, das zwar mit dem Foto von Rosa Jochmann, jedoch mit dem Namen ihrer Schwester, Josefine Drechsler, versehen war.

 
Alb 8 Proft, LG Wien.tif
Dokumentation 4/2001 „Maria Emhart. Briefe aus dem Gefängnis“ (S. 7)
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Gefängniszelle, 1930er Jahre

"Ein Jahr Kerker

Vor einem Schöffensenat unter dem Vorsitz des Oberlandesgerichtsrates Dr. Osio hatte sich gestern das ehemalige Mitglied des Sozialdemokratischen Parteivorstandes, die frühere Nationalrätin Rosa Jochmann, wegen Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe und Übertretung nach § 30, Preßgesetz, zu verantworten. Der Vertreter der öffentlichen Anklage war Staatsanwalt Dr. Erwin Scheibert.

Die Anklage gegen Rosa Jochmann führt folgendes aus: Die Angeklagte hat sich nach dem Zusammenbruch des Februaraufstandes wiederholt in Wien und in Niederösterreich unangemeldet aufgehalten. Trotz der Auflösung und des behördlichen Verbots der Sozialdemokratischen Partei nach dem Februar 1934 wurde von der Organisation der „Revolutionären Sozialisten“ der Kampf gegen die Regierung mit dem Ziele der endgültigen Aufrichtung der proletarischen Diktatur fortgesetzt.

Diese Organisation stand unter der Leitung eines Zentralkomitees: die Zehnerscharen. Zur Erreichung seines Zweckes gab das Zentralkomitee, in dem sich auch Vertreter der Kommunistischen Partei befanden, folgende Weisung: Die Mitglieder der revolutionären Organisationen sollten in möglichst großer Zahl ihren Beitritt zur Vaterländischen Front anmelden. (…) Die Anklage beschäftigt sich dann weiter mit der Tätigkeit der Angeklagten Rosa Jochmann innerhalb der Organisation. Die Angeklagte war ebenfalls Mitglied einer Zehnerschar und trug als solches die Nummer 6. Am 28. August vergangenen Jahres hat sie illegale Druckschriften der revolutionären Sozialisten von Wien nach Baden gebracht (…).“

(VGA, NRJ, K5M39, Zeitungsbericht über die Anklage gegen Rosa Jochmann, 1935)

 
glöckel an rosa.tif
4 Seiten, S. 1.
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Leopoldine Glöckel an die inhaftierte Rosa Jochmann, 14.04.1935

 
Album 4.jpg
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Führende Vertreter des austrofaschistischen Regimes
 
Postkarte von Käthe und Otto Leichter an Rosa Jochmann, 31.08. 1935. „Fr. Rosa Jochmann, Wien VIII, Landesgericht für Strafsachen 1Landesgerichtstraße, Abt. 26.
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Postkarte von Käthe und Otto Leichter an Rosa Jochmann, 31.08.1935

An:
„Fr. Rosa Jochmann, Wien VIII, Landesgericht für Strafsachen 1, Landesgerichtstraße, Abt. 26.    

Liebste Rosl,
wir waren früher gewohnt allerhand Jubiläen zu feiern. Die anderen feierten ihren 60. Geburtstag. Du feierst heute Deinen ersten Jahrestag…! Wir können zu diesem Jubiläum nicht zusammenkommen wie einst, aber Deine Freunde sind heute in ihren Gedanken bei Dir und diese Gedanken haben mehr Kraft und Wärme als die schönsten Reden von uns. Dein Mut, Deine innere Sicherheit und Heiterkeit bedeutet uns allen unendlich viel in dieser Zeit und darum denken wir mit größter Liebe und Herzlichkeit an Dich – und auch zugleich mit der Hoffnung und Freude Dich bald wieder richtig zu sehen und Dir alles auch sagen zu können. In herzl. Freundschaft,
Deine Käthe und Otto."

 
Aus VGA (2001): Maria Emhart. Briefe aus dem Gefängnis, S. 6. (VGA, NRJ, Album11: Foto nach der Haftentlassung im November 1935
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Rosa Jochmann vor einem Bücherregal, November 1935, nach der Entlassung aus der Haft
 
abgedruckt in: Verein der Geschichte der Arbeiterbewegung (2001): Rosa Jochmann. Maria Emhart. Briefe aus dem Gefängnis. Korrespondenzen mit Rosa Jochmann 1935-1936, VGA, Dokumentationen 4/2001, S. 9.
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Maria Emhart aus der Haft an Rosa Jochmann, 28.12.1935
 
N2/37
„Silvester in der Wohnung Rosa Jochmanns: Karl und Marie Emhart, Rosa Jochmann, Rudolfine Muhr (1. Reihe von links), 1936
(aus VGA (2001): Maria Emhart. Briefe aus dem Gefängnis, S. 16: „v.l.n.r.: Mizzi Rauscher, Karl und Maria Emhart, Rosa Jochmann, Josefine Jochmann, Rudolfine Muhr, Hilda Rauscher, das Ehepaar Lichtenegger“)
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Silvester 1936, Karl und Maria Emhart, Rosa Jochmann, Rudolfine Muhr (1. Reihe v. l.)

Maria Emhart und Rudolfine Muhr zählten zu Rosa Jochmanns engen Freundinnen und Genossinnen. Am 31. Dezember konnte der Freundeskreis gemeinsam Silvester feiern. Maria Emhart war im Jänner 1935 erneut verhaftet worden; im sog. Sozialistenprozess wurde ihr die Todesstrafe angedroht. Diese wurde jedoch in eine 18-monatige Kerkerstrafe umgewandelt, die mit der Juliamnestie 1936 vorzeitig endete.

 
Album 11 Jochmann.tif
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Rosa Jochmann am Schreibtisch, 1936.
 
M.E.tif
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Portrait Maria Emhart

 
Leopoldine Glöckel.tif
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Portrait Leopoldine Glöckel
 
Jochm. u. Proft nach Spaziergang.tif
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Rosa Jochmann und Gabriele Proft

Gabriele Proft und Rosa Jochmann vor dem Haus des Genossen Spinka nach einem Fußmarsch durch die Stadt, 1935.
 

Texte und Zitate:

Auszug aus der „Ersten Prinzipienerklärung“ der Revolutionären Sozialisten, September 1934

Auszug aus der „Ersten Prinzipienerklärung“ der Revolutionären Sozialisten, September 1934


Die Prinzipienerklärung der Revolutionären Sozialisten wurde auf der „Wiener Konferenz“ beschlossen. Die Konferenz fand am 4. und 5. September 1934 in einem Arbeiterheim im tschechischen Blansko statt und sollte – nach dem Verbot der SDAP – die in der Illegalität aktiv gebliebenen Kräfte der Partei wieder zu einer Organisation vereinen. Etwa 70 Delegierte nahmen an der Zusammenkunft teil. Rosa Jochmann, die im Sommer 1934 festgenommen worden war, befand sich zum Zeitpunkt der Konferenz in Haft.

Die Erklärung, aber auch spätere Positionierungen der Revolutionären Sozialisten, wurden in der illegalen Arbeiter-Zeitung sowie in getarnten Broschüren abgedruckt und unter den Mitgliedern verteilt. Die Prinzipienerklärung von 1934 umfasste etwa zwei Seiten und brachte die Neuorientierung der in der Illegalität aktiven SozialdemokratInnen zum Ausdruck.

In dem Schriftstück erklärte sich die Organisation zur offiziellen Nachfolgerin und Erbin der SDAP. Die Arbeit der Sozialdemokratie vor dem Verbot der Partei wurde anerkennend erwähnt, zugleich jedoch betont, dass der Sieg des Faschismus und die Arbeit in der Illegalität eine neue Strategie, eine veränderte politische Ausrichtung erforderten. Die Prinzipienerklärung verlangte einen Bruch mit den „reformistischen Illusionen“ der Vergangenheit sowohl in der Strategie der illegalen Bewegung im Untergrund als auch innerhalb der II. Internationale, welcher die SDAP angehörte.

"Erste Prinzipienerklärung
(Beschlossen auf der Wiener Konferenz im September 1934)

Unsere neue Partei ist die Nachfolgerin und Erbin der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, die die österreichischen Arbeiter und Angestellten mit Klassenbewusstsein erfüllt und ein halbes Jahrhundert lang ihre Klassenkämpfe geführt hat. Sie bekennt sich mit Stolz zu den glorreichen Kämpfen und den großen Kulturtaten des in der Sozialdemokratie geeinigten österreichischen Proletariats, insbesondere zu dem heldenhaften Beispiel des Februarkampfes. Aber sie ist sich dessen bewußt, daß die durch den Sieg des Faschismus völlig veränderte Lage der Arbeiterklasse wesentliche Veränderungen in der Zielsetzung und den Methoden des Kampfes und im Aufbau der Partei erfordert.

Frei von den Fehlern und Illusionen der Vergangenheit wollen wir eine neue, geeinigte Bewegung aufbauen.
Wir erblicken nur im Klassenkampf das Mittel zur Befreiung der Arbeiterklasse. Sein Ziel ist die Eroberung der Macht durch das Proletariat, um die sozialistische Gesellschaft  aufzurichten. Aller demokratischen Rechte beraubt, muß die Arbeiterklasse ihren Kampf mit revolutionären Mitteln führen. Sie muß in unversöhnlichem revolutionärem Kampf die faschistische Diktatur stützen, die Staatmacht erobern und die eroberte Staatsmacht mit den Mitteln einer revolutionären Diktatur festhalten.

Die Diktatur der Arbeiter und der Bauern wird den faschistischen Herrschaftsapparat zertrümmern und einen sozialistischen Staatsapparat aufrichten. Sie wird den Widerstand der Ausbeuterklassen, der Kapitalisten, der Großgrundbesitzer und ihres Trosses von Pfaffen, Bürokraten und Generalen brechen, die Ausbeuterklasse durch die Verteilung des Herrenlandes auf landwirtschaftliche Arbeiter, Bauernsöhne und Kleinpächter, durch die Sozialisierung der großen Unternehmen in der Industrie, im Forstwesen, im Handel, im Verkehrswesen und im Bankwesen entmachten und damit die Grundlage einer sozialistischen Gesellschaftsordnung schaffen.

Erst wenn die Diktatur diese ihre geschichtliche Funktion erfüllt hat, wird durch die Zertrümmerung der wirtschaftlichen und politischen Macht des Kapitalismus die Verwirklichung der vollen Freiheit des Einzelnen in einer sich selbst verwaltenden Gemeinschaft möglich. Über die revolutionäre Diktatur führt der Weg zur sozialistischen Demokratie.

Wir stehen allen Formen des Faschismus in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber: Wir bekämpfen den Nationalsozialismus nicht minder als den Faschismus der Kanonen- und Galgenchristen oder die monarchistische Reaktion. Wir kämpfen im vollen Bewußtsein, daß der Faschismus nur mit revolutionären Mitteln im Kampfe um die ganze Macht überwunden werden kann, für die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiterklasse, für die Wiederherstellung des Koalitions- und Streikrechtes, für das Recht der Werktätigen, ihre Gesinnung zu bekennen, um diese Rechte zur Niederringung der faschistischen Diktatur auszunützen.

In der Erklärung wird die Internationale Verbundenheit mit den Arbeitern aller Länder zum Ausdruck gebracht, die enge Zusammenarbeit mit den Freien Gewerkschaften festgesetzt und der Wille kundgetan, die österreichische Arbeiterbewegung in einer einzigen Partei zu vereinigen. Zu den Aufgaben der neuen Partei gehöre auch, innerhalb der sozialistischen Arbeiterinternationale für die Überwindung der reformistischen Illusion zu kämpfen und für die Vereinigung des Weltproletariats zu einer einzigen weltumspannenden Internationale einzutreten.

(VGA, Organisationen, Illegale Flugschriften, Karton1, M3, 3c, „Erste Prinzipienerklärung“ der RS, in der getarnten Broschüre „Cicero. Drei Bücher von den Pflichten“ (1936), S. 5-6, Hervorhebungen im Original)

Gefängniskorrespondenzen

Viele der GenossInnen und FreundInnen Rosa Jochmanns waren während der Zeit des Austrofaschismus inhaftiert. Im Nachlass von Rosa Jochmann zeugen  Gefängniskorrespondenzen aus den 1930er Jahren von einem starken Zusammenhalt zwischen ihnen. Einige Ausschnitte aus ihren Briefen geben einen Eindruck von diesen Beziehungen: 

1935 schreibt Frieda Nödl an die inhaftierte Rosa Jochmann:

„Ella [Gabriele Proft], Adelheid [Popp], Poldi [Leopoldine Glöckel] und ich und noch ein paar andere gingen ins Kaffeehaus, um noch ein wenig beisammen zu sein. Daß wir an Dich dabei dachten, ist selbstverständlich. Samstag vormittag war ich bei Therese [Schlesinger]. Sie lässt Dich vielmals grüßen. Es geht ihr gesundheitlich gar nicht gut. Sie ist in der letzten Zeit recht deutlich gealtert und fühlt sich auch gar nicht wohl. (…) Seit sie so nah bei mir wohnt, besuche ich sie allwöchentlich. Bis draußen sonnig und warm ist, werde ich sie öfter abholen und in den Park führen.“
(VGA, NRJ, K1M1, Frieda Nödl an RJ, 19.03.1935)

Der Beistand von und der Austausch mit Genossinnen außerhalb der Gefängnismauern war ein zentraler Aspekt der Unterstützungsarbeit. Immer wieder kam allerdings der Rotstift der Zensur zum Einsatz, um nicht genehme Botschaften unkenntlich zu machen. Ein Austausch über Persönliches oder die Zustände im Gefängnis war zum Teil verschlüsselt möglich: vom Essen, Spazierengehen und Waschen über Buchlektüren oder Englischlernen bis zur Thematisierung von Beziehungen.

Adelheid Popp schreibt am 31.12.1934 an Rosa Jochmann:

„Liebstes Röschen!
(…) Ich wollte Sie schon gerne besuchen aber man ist dagegen (…). Ich würde Sie aber doch sehr sehr gerne sehen. Es ist doch schon zulange her, dass Sie (…) uns entzogen haben. Mit uns meine ich natürlich den Kreis der näheren (…) Freunde. (…) Brauchen Sie Bücher? Möchten Sie etwas ganz bestimmtes? (…) Sie haben ja noch ein gutes Leben vor sich (…), grüße Sie und herzlichste Wünsche Ihre Adelheid.“
(VGA, NRJ, K1M1, M1a, Adelheid Popp an RJ, 31.12.1934)

Adelheid Popp erkundigt sich mehrmals, ob sie irgendetwas zu Rosa Jochmanns Versorgung beitragen kann. Sie fordert die Inhaftierte zudem auf, Englisch zu lernen, und Rosa Jochmann kommt dem Vorschlag nach.

Adelheid Popp an Rosa Jochmann:

„Mein liebes süsses Joch!
Teuerstes Röschen!
Ihr Brief hat mich sehr gerührt- und ich denke daran wie ich Sie vor 15 Monaten für den Parteivorstand vorgeschlagen habe. O.B. war damit nicht sehr einverstanden. Er pries zwar Ihren Charakter aber ansonsten waren Sie ihm zu weich. Ihre Freundin schien ihm das Gegenteil zu sein und darum passender. Weil mir aber die Milde Ihrer Gesinnung gefiel, müssen Sie nun so lange büssen. Ich kann mir das nicht erklären, aber darüber ist ein Meinungsaustausch, wie ich fürchte, nicht erlaubt. Ja, Kind, nach den verschiedenen Stationen die ich mitgemacht habe, war ich auch glücklich, wieder im geliebten Heim zu sein. Jetzt habe ich noch um eine Ecke mehr als früher. Wie schön wird es sein, wenn Sie dort zärtlich umhegt von mir, sitzen werden. Ich hoffe meine Grete, Angelas Nachfolgerin, wird nicht eifersüchtig sein, wenn Sie dann die Briefe schreiben. Könnten Sie nicht dort, wo Sie jetzt sind, englisch lernen, ich könnte Ihnen die Tousaint-Langenscheidtischen Briefe leihen. Nun zu Napoleon. Wenn Sie jetzt schon etwas von ihm lesen wollen, so leihe ich Ihnen: ´Der Mann aus dem Chaos´. Wenn mein Schnupfen, der mich an das Zimmer bindet, vorüber ist, so würde ich sie gerne besuchen. Kann man nicht, wenn man darum bittet, eine spezielle Viertelstunde erreichen? Mein Arzt ist nämlich dagegen, dass ich mich in solche Massenaufläufe begebe, wie sie bei Ihnen allwöchentlich sein sollen. In einigen Tagen muß ich zu Professor Kaitler gehen, um kontrollieren zu lassen, ob das Radium dauernd seine Schuldigkeit getan hat.
Die Wahltochter sehe ich sehr selten, da sie von ihrem Vater ängstlich behütet wird, da dieser an der fixen Idee leidet, sie werde beobachtet. Und nun liebe Rosa, machen Sie mir die Freude, es aufrichtig zu sagen, falls ich Ihnen etwas helfen kann. Die Bundespol-dir. hat mir zu Weihnachten aconto meiner Ansprüche an die Pen.Zusch.Kasse 400 S geschickt, so dass ich mir einbilde ich kann jetzt die ganze Welt von Not und Elend befreien. Also bitte! Auf ein recht baldiges Wiedersehen hofft mit recht herzlichen Grüssen und Umarmung Ihre
Adelheid"
(VGA, NRJ, K1M1, Adelheid Popp an Rosa Jochmann,15.01.1935, 1 Seite; abgedruckt in:
Rosa Jochmann. 1901-1994. Demokratin, Sozialistin, Antifaschistin. VGA-Dokumentation 2/2001, S. 6.)

Auch Leopoldine Glöckel leistet moralische Unterstützung. Sie schreibt an die inhaftierte Rosa Jochmann, sie sei der

„Typ der echten rechten Wienerin, die nie den „Humor“ verliert. Und jetzt, Röslein von der Simmeringerheide, grüße ich Sie herzlichst. Auch meine Freundinnen, die Sie kennen, grüßen Sie aller bestens. Wir alle wissen, was es heißt, als junger Mensch vom Leben ausgeschaltet zu sein, aber wir wissen auch, daß unsere Rosl ein tapferer Mensch ist! (…)“
(VGA, NRJ, K1M1, M1a, Leopoldine Glöckel an RJ, 14.04.1935)

Frieda Nödl, die zu diesem Zeitpunkt bereits ihre erste Haftstrafe abgesessen hatte, rekapitulierte in einem Brief an Jochmann, wie viele Menschen am Besuchstag anwesend waren und formulierte Tipps, um die Haftzeit besser zu überstehen:

„War es nicht letztens am Besuchstag schön, daß wieder so viele zu Dir kamen? (…). Und kannst Du selbst nicht mit uns reden, so siehst Du uns doch. Ich kann mir doch vorstellen, wie Du nachher in Deiner Einsamkeit in Gedanken mit einem nach dem anderen über all das redest, wozu während der Besuchszeit keine Zeit mehr war. (…) Hast du Dir eigentlich so eine Art Tageseinteilung gemacht? Ella meint nämlich, die Haft wäre viel leichter erträglich, wenn man sich selbst einen Stundenplan gibt.“
(VGA, NRJ, K1M1, Frieda Nödl an RJ, 27.01.1935)

Die Netzwerke zwischen den Frauen stellen ein wichtiges Moment ihrer Widerstandstätigkeit, ihres Lebens mit der Repression und somit der Untergrundbewegung in der Illegalität dar. Am 22.11.1935 wurde Rosa Jochmann aus der Haft entlassen. Sie wurde von einer großen Menschenmenge empfangen, in der Wohnung türmten sich Geschenke. Kurz nach der Enthaftung schrieb Rosa Jochmann an ihren nach wie vor inhaftierten damaligen Lebensgefährten Hans Rauscher:

„Mit dem 6er Wagen bin ich mit Peperle nach Hause; (…) Beim Markt stiegen wir aus und als die Straßenbahn wegfuhr, war ich umringt von lauter Freunden, von Vielen, Vielen. – Ich konnte alle Blumen nicht tragen, die ich bekommen habe, das war alles schön, Franzl, unvergesslich schön. – So wie wir gingen kamen immer und immer Menschen und wieder Menschen, aber dann erst zu Hause! (…) Die Küche war (…) mit meinen Lieblingsblumen geschmückt; (…) So viele Blumen habe ich bekommen, daß alle Vasen zu wenig wurden (…). Wir waren die halbe Nacht auf, immer kamen Leute zur Tür und zum Fenster, die mir die Hände drücken wollten. (…) Du weißt doch, daß der größte Teil unserer Freunde arbeitslos ist, umso rührender war es, wie jeder eine kleine Freude bereiten wollte (…) und bringen mit: Äpfel,1 Dose Sardinen, 1 Rippe Schokolade, 1 kleine, ganz kleine Torte, (…), 3 Blusen, 1 Kleid, Strümpfe, Taschentücher, (…), Bücher u vieles andere.“
(VGA, NRJ, K1M11; Brief von RJ an Franz Rauscher, 29.11.1935)

Nach der Entlassung war Rosa Jochmann unter dem Decknamen „Frau Friedrich“ als Leiterin für den Kreis IV, Margareten, Meidling, Hietzing und Rudolfsheim zuständig. Die Revolutionären Sozialisten organisierten die illegale Arbeit neu und richteten die Strategie entlang der „langen Perspektive“ aus, die nicht mehr mit einem schnellen Sturz des Regimes rechnete. 1936 wurde Rosa Jochmann erneut festgenommen. Sie hatte während der Sozialistenprozesse lautstark im Gerichtssaal protestiert, als die Polizei eine Frau aus dem Publikum abführen wollte. 

Für die inhaftierte Maria Emhart war in dem „Großen Sozialistenprozess“ im Jahr 1936 die Todesstrafe beantragt worden. Außerhalb der Gefängnismauern forderten die GenossInnen die Freilassung von Emhart und den anderen Angeklagten. Im März 1936 verurteilte das Gericht Maria Emhart zu 18 Monaten „schwerem Kerker“. Maria Emhart  und Rosa Jochmann tauschten mehrere Briefe aus. Im Juni 1936 schrieb sie an Rosa Jochmann:

„Allerliebste Freundin!
Am Freitag der vergangenen Woche mußte ich viel an Dich denken, wie oft sich nun Deine Vorhersagen bewahrheiten. Ich weiß nimmer genau, wie oft Du mir geschrieben hast, daß Du nicht daran glaubst, daß das Urteil in unserem Prozeß noch revidiert werden kann, aber ich erinnere mich daran, daß in vielen Deiner Briefe davon die Rede war u. Du hattest wirklich recht. Der große Sozialistenprozeß soll die Öffentlichkeit nimmer beschäftigen. Du und Ihr alle werdet euch sicher gefreut haben, daß die Ungewißheit u. das Warten u. die Spannung ein Ende gefunden hat. Als die ersten Menschen - ich glaube es war Dr. Gruber u. Dr. Steinitz, mir gratulierten, glaubte ich in der ersten Sekunde, daß es wegen meines Geburtstages wäre. Als ich dann den Grund erfuhr, freute ich mich zuerst selber drüber, aber gleich fiel mir ein, daß ich ja immerhin noch 8 Monate schweren Kerker vor mir habe. Am 30. Jänner um ½ 6 h abends ist meine Zeit aus. Es ist dies ein Samstag und bis dahin sind noch 242 Tage u. es wechseln noch 3 Jahreszeiten. Der Frühling macht dem Sommer Platz, dann kommt der Herbst und wenn ich heim komme ist bereits der Winter, der kaum erst fort ist, wieder da. Und als mir das alles einfiel, blieb auch nicht ein Fünkchen irgendeiner Freude zurück. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, muß ich Dir aber gleich sagen, nur in Bezug auf diese Sache habe ich keinen Grund, mich zu freuen. Ansonsten freut mich ja Vieles. Ich stehe noch ganz im Bann der Geburtstagsfreude. Am Samstag bekam ich noch einen Gratulationsbrief von der Toni mit einem wunderschönen Edelweiß u. 2 Karten, deren eine mit Emy gezeichnet war. Auch das Buch von der Mariandl habe ich jetzt schon bekommen. Ich freue mich darüber wie über all die anderen Sachen u. weiß gar nicht, wie ich Dirs sagen soll, damit Du verstehst, wie glücklich ich über alles bin. Es geht mir immer so, daß, wenn ich mich über etwas sehr freue, mir alle Worte fehlen, um dies auszudrücken, besonders, wenn es noch dazu etwas Persönliches ist. Für alle kann ich Wortsprecherin sein. Nur für mich selber nicht. Sei´s Du für mich bitte u. sage Du allen Dank für die Liebe u. die Solidarität, die sie mir bekunden. Ich freue mich, wenn ich alle Gratulanten einmal persönlich kennenlernen kann. Aber nun will ich Deinen Brief vom 29.V. beantworten. Recht fein ist´s, daß man dem Franzl Packl schicken kann, weniger fein allerdings der Umstand, daß die Mittel nur für 2 Pakete im Mt. reichen. Über die Grüße vom Franzl freute ich mich sehr u. diesmal lege ich ihm auch so ein Zetterl bei. Daß er körperlich sehr müde ist, kann ich begreifen. Bald sind es 2 Jahre, daß er in völliger Unfreiheit lebt u. bei allem Mut u. aller Stärke bleiben die Folgen nicht aus. Bei Kratky hat sich die viel kürzere Haftzeit schon so schrecklich ausgewirkt, ebenso wie Mohler. Beide tun mir sehr leid u. ich grüße sie herzlich. Mit Entsetzen denke ich immer wieder an die 2 60-jährigen Frauen im Parterre. Die Kölbl hat jetzt auch immer so viele Furunkeln. Momentan ein eigroßes im Bruch. Wir, die Jüngeren haben uns draußen bald wieder erholt und zumindest erhoffen wir noch ein Stück einer schöneren Zeit zu erleben, aber die Alten ..? Und doch sehe ich keine, die verzagt oder verdrossen wäre. Alle haben sie die Liebe, die ihnen ertragen hilft.
Der Ausfall der Karten von ´dahoam´ während Karl im Krankenstand war, ist schon lang wieder gutgemacht.
Unsere Freunde in der Strafe waren sehr enttäuscht, daß zu Pfingsten keine Pakete erlaubt waren. So gern hätten sie sich wieder einmal satt gegessen. Um 25 g, wie zu jedem gewöhnlichen Samstag, konnten sie sich etwas kaufen.
Mit Recht denkst Du an die schrecklichen, düsteren Zellen im Parterre. Es besteht aber keine Aussicht, daß ich deshalb, weil sie ungesund sind, nicht herunter komme. Die jetzt dort wohnen müssen, entbehren die Sonne u. die Luft genau so. Am schrecklichsten ist wohl, daß die Fenster in den Galgenhof gehen. Oft und oft, besonders wenn man die großen Steine sieht, wird ein schreckliches Erinnern kommen. Es ist mir klar, daß die letzte Etappe die schrecklichste ist. Wenn ich an die Paula denke, die nun schon 3 Wochen allein sein muß, dann sage ich mir, lieber noch in der düsteren luftarmen Zelle hier als so ganz ohnmächtig ausgeliefert zu sein wie Paula. Du kennst doch die Geschichte? Geputzt wurde hier eigentlich gerade 1 Woche vor unserer Verhandlung. Bei mir war es eine Nachreichung, weil ich einen Wanzenstrich bekam.
Die Wilma grüße ich recht sehr und wünsche baldige Besserung. Nicht ich halt´ die Peperle für eine Bißgurne, aber Du hast sie so geschildert. Ich weiß eh, daß Du sie nur verhauen hast wollen bei mir. Aber es ist Dir eh net g´lungen. Wenns der Ferdl jetzt sekkiert deswegen, dann schreib ich nächstens ganz was grausliches über ihn. Aber heute grüße ich alle 2 recht herzlich und drück beiden die Hand, nein auch ein Bussl kriegen alle 2.
Die Ella möchte ich natürlich nicht kränken, aber wegen der vielen Arbeit ist mir das recht unangenehm. Es fehlt die Seite 65 u. fortlaufend bis Seite 80. 64 ist noch da u. dann kommt gleich 81. Bitte sage ihr, daß ich sie vielmals grüße u. daß ich mich über ihre Freundschaft sehr freue.
Da wir heute nicht spazieren gingen u. auch gestern nicht, kann ich meinen Vorsatz, Dir ein Gänseblümchen vom Garten mitzuschicken, nicht wahr machen. Aber nächstens bekommst Du eines. Ich stricke schon fleißig an dem Pullover. Bitte schreib mir, was die Wolle kostet.
Und nun noch Grüße an alle. Vergiß bitte niemanden, die Lisl u. die Lily, die Murli u. die Käthe, die Mizzi u. Hilda, Wilma u. ihre Mutter, die Tante Poldi u. die Lisa u. Muna u. ihren Mann u. Frieda u. Familie H.********* und auch am Mund und auch auf d´Hand.
Deine Mizzl."
(VGA, NRJ, K1M3, Maria Emhart an Rosa Jochmann, 03.06.1936; abgedruckt in:
Rosa Jochmann. 1901-1994. Demokratin, Sozialistin, Antifaschistin, VGA-Dokumentation 2/2001, S. 7-8.)

Im Jahr 1938 war Rosa Jochmann in Freiheit. Ihre Freundin und Genossin Rudolfine Muhr wurde jedoch noch wenige Monate vor dem sog. Anschluss im Wiener Landesgericht wegen Tätigkeiten bei der Sozialistischen Arbeiterhilfe festgenommen. Auch mit Rudolfine Muhr stand Rosa Jochmann stets in brieflichem Austausch:

„Meine allerliebste Fini,
genauso war es mit deiner heutigen Karte wie das letzte Mal: wir haben grossgründlich gemacht und mitten darin kam deine Karte, über die wir uns alle sehr gefreut haben (...)
Ich gehe ja selten zum Franzl, weil der Weg zu Fuß doch etwas weit ist und 70 Groschen sind für meine Verhältnisse viel Geld, aber Samstags bin ich immer dort und dann trinken wir auch Tee und einer von uns beginnt ganz sicher damit, wenn wir jetzt der Finnerl eine Schale servieren könnten (...)
Unsere schöne gläserne Schale ist zerbrochen, vielleicht vor lauter Kränkung, weil sie dich nimmer erfreuen konnte. Franzl und mir ist sehr leid um sie, aber vielleicht ist sie nur deshalb zu Scherben geworden, weil sie uns Glück bringen will? Ich will ganz fest daran glauben und höchste Zeit wäre es wohl, wenn auch bei uns einmal das Glück anklopfen würde.

Ja, also die Schale ist weg, aber was glaubst du, was in meinem Geschirrkasten bei meinem gelben Tee-Service steht? Eine Teekanne ganz aus Glas, die wir beide so bewundert haben. Überhaupt waren die Weihnachtsgaben viel reicher, als ich mir träumen ließ: Ein herrliches Nachthemd, drei Bücher, eine Bluse so schön nicht zum sagen, eine Riesenflasche Kölner Wasser, ein Paar Seidenstrümpfe, eine Taschenlampe. Es ist ja seltsam, wenn ich dir das schreibe, aber du freust dich gewiß ebenso wie ich (...)
Da Mizzl arbeitet, haben Hilda und ich bei Franzl aufgeräumt und wir werden dies jetzt jede Woche einmal tun; er freut sich ja nicht darüber (...) aber du kennst ihn ja: sein Mund spricht anders, als sein Herz denkt und er freut sich innerlich ganz gewiß über unsere Hilfe. Du wirst mit mir eine große Freude haben, ich habe viel gelernt und verlange nun nicht mehr vom Leben als es mir zu geben bereit ist. Gern würde ich dir das näher erklären, weil du ja meinen großen Kummer kennst, aber ich kann das nicht wegen der Zensur, weil es rein persönliche Dinge sind.
Immer wieder will ich es dir schreiben und immer wieder vergesse ich darauf: ich war in derselben Zelle wie du und es ist nur schade, dass man die Wände nicht bekritzeln darf, denn dann würdest du meinen Namen finden aber ich habe alles daran gesetzt, niemandem die Möglichkeit zu geben, mit mir zu schimpfen.
Es gibt kein Glück - und es ist das Plus all jener, die einmal die Freiheit verloren haben – das dem der wiedergewonnenen Freiheit gleichkommt. Alles ist tausendmal schöner und vom Türaufmachen angefangen, kommt einem alles wie ein Wunder vor. Mir wenigstens ging es immer so und ich kann ja schon in der Mehrzahl sprechen. – Und so kenne ich nur einen Wunsch, dass du liebster, gütigster Mensch dieses Wunder bald erleben mögest. Ich küsse dich ganz fest und drücke deine lieben, kleinen, schönen Hände,
deine Freundin Rosa“
(VGA, NRJ, Rosa Jochmann an Rudolfine Muhr, 17. Jänner 1938)


3
VGA, NRJ, K7M49, S. 45; RJ, Artikel für Eva Pfisterer, „Wir wurden illegal“, 08.02.1984.
4
Vgl. Sporrer, Maria/Steiner, Herbert, Rosa Jochmann. Zeitzeugin. Wien 1983,S. 63.
5
Duma, Veronika/Lichtenberger, Hanna (2014): „Geschlechterverhältnisse im Widerstand: Revolutionäre Sozialistinnen im Februar 1934“, in: Maier, Michaela (2014): Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus. Dokumentationen 1-4/2013, Wien, S. 55-82, 70.
6
Duma, Veronika/Lichtenberger, Hanna (2014): „Geschlechterverhältnisse im Widerstand: Revolutionäre Sozialistinnen im Februar 1934“, in: Maier, Michaela (2014): Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus. Dokumentationen 1-4/2013, Wien, S. 55-82, 70.
7
Vgl. VGA, K1M4, Rainer Mayerhofer „Ja, ich bin eine begeisterte Sozialistin“, Maria Emhart wäre am 27. Mai 100 Jahre alt; Text von Maria Emhart September 1981; Rosa Jochmann über Emhart in der AZ, Fr., 29.05.1981.
8
VGA, NRJ, K1M1, Frieda Nödl an RJ, 19.03.1935.
9
VGA, NRJ, K1M1, M1a, Adelheid Popp an RJ, 31.12.1934.
10
VGA, NRJ, K1M1, M1a, Leopoldine Glöckel an RJ, 14.04.1935.
11
VGA, NRJ, K1M1, Frieda Nödl an RJ, 27.01.1935.
12
Duma, Veronika/Lichtenberger, Hanna (2014): „Geschlechterverhältnisse im Widerstand: Revolutionäre Sozialistinnen im Februar 1934“, in: Maier, Michaela (2014): Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus. Dokumentationen 1-4/2013, Wien, S. 55-82, 58, 59.
13
VGA, NRJ, K1M11; Brief von RJ an Franz Rauscher, 29.11.1935.
14
vgl. VGA, NRJ, K1M7, M7d, „Der sozialistische Kämpfer. Organ des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus“, Juli/August 1981, Nr.7/8, S.6f.
15
Duma, Veronika/Lichtenberger, Hanna (2014): „Geschlechterverhältnisse im Widerstand: Revolutionäre Sozialistinnen im Februar 1934“, in: Maier, Michaela (2014): Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus. Dokumentationen 1-4/2013, Wien, S. 55-82, 71.

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